Im schwarzen Sarg der Schuhe

Publish date: 2024-11-15

An meinem rechten Fuß muss ich noch feilen.“
(Michael Tarnat, Links­ver­tei­diger)

Der Fuß ist ein bedau­erns­wertes Organ. Einen großen Teil seines Lebens ver­bringt er, wie Sylvia Plath schreibt. im schwarzen Sarg der Schuhe“, wo er käsig aus­sieht und ranzig wird. Der Fuß ist ein nie­deres, unschein­bares Stück Körper, das sich lebens­lang in Dreck und Staub her­um­treiben muss. Allein im Fuß­ball­spiel kommt dem Fuß eine groß­ar­tige kul­tu­relle Gestal­tungs­kraft zu. Im Jahr 2005 ist der Fuß­ballfuß sogar zu einem von Bri­gitte Schmitges gestal­teten Denkmal geworden. Vor dem Ham­burger Sta­dion thront über­le­bens­groß der starke rechte Fuß von Uwe Seeler. In Bronze gegossen, dient er den Kleinen zu Klet­ter­übungen, wäh­rend die Großen auf dem Nagel des dicken Zehs gemüt­lich Platz nehmen können. Es ist nicht mehr als gerecht, dass gerade im pro­le­ta­ri­schen Fuß­ball­sport das unschein­bare, die ganze Last des Kör­pers tra­gende Organ auf den Sockel gehoben wird.

Bei jedem Sport geht es um kör­per­liche Akti­vi­täten, die nach bestimmten Regeln aus­geübt werden, Regeln, die die Aktionen absicht­lich erschweren. Die beson­dere Art der frei­wil­ligen Selbst­er­schwe­rung, die sich der Mensch im Fuß­ball auf­er­legt, unter­scheidet dieses Spiel von allen anderen. Im Fuß­ball wird das per­fekte Spiel­gerät Ball mit einem unge­eig­neten Organ zusam­men­ge­bracht, dem Fuß. Hand und Arm sind weit­ge­hend tabu. Füße aber, ganz anders als Hände, sind nicht dazu gemacht, elas­ti­sche Kugeln zu beherr­schen. Mit dem Fuß kann man keine Besitz­an­sprüche stellen, mit der Hand sehr wohl. Das Fangen und Werfen des Hand­balls ist etwas ganz anderes als das Stoppen und Treten des Fuß­balls. Die Hand ist gegen­über dem Fuß das gebil­de­tere, das geüb­tere Organ. Fangen ist leichter als Stoppen. Beim Fangen strebt der Ball dem Becher hoher Hände zu“, wie Rilke dich­tete; es ist immer ein Emp­fangen und bedeutet ein Höchstmaß an Kon­trolle über das Spiel­gerät. Beim Stoppen des Fuß­balls hin­gegen kommt es immer zu einer Kon­fron­ta­tion. Der Spann des Fußes ist dem Ball ent­ge­gen­ge­setzt gewölbt, konvex trifft auf konvex. Füße sind fürs Fuß­ball­spielen absolut unsinnig kon­stru­iert“, befindet der Schuh­ma­cher­meister Eck­hard Herm­stedt, Erfinder des Pre­dator“, eines diesen Nach­teil aus­glei­chen wol­lenden Fuß­ball­schuhs. Gehirn­lap­pen­tech­nisch“, lässt Thomas Brussig seinen Prot­ago­nisten im Monolog eines Fuß­ball­trai­ners“ sagen, können die Augen mehr als die Beine und Füße zusammen. Lippen, Zunge, Finger, Hände, alle können mehr als die Füße – und wir spielen Fuß­ball. Der Mensch ist nach fuß­bal­le­ri­schen Gesichts­punkten eine ein­zige Fehl­kon­struk­tion, eine Miss­bil­dung.“

Wie ein vom plötz­li­chen Herz­in­farkt ereilter Spatz

Um so größer die Kunst­fer­tig­keit, die vom Kicker ver­langt wird. Der Fuß­baller muss sich viel mehr als alle Sportler, die den Ball mit der Hand spielen in die Bewe­gung und Din­gei­gen­schaften des Balls ein­fühlen: Er muss in seiner eigenen Bewe­gung die Bewe­gung des Balls gleichsam ver­län­gern. Weil er den Ball nie ganz unter Kon­trolle hat, schmiegt er sich der Bewe­gung und Flug­bahn des Balls sozu­sagen an. Die Schön­heit dieses Vor­gangs lässt sich an Kön­nern wie Pelé oder Mara­dona bewun­dern. Von Mara­dona wurde geschrieben, er habe Hände an den Füßen“, denn er könne einen scharf geschos­senen Pass in zwei Metern Höhe mit der Fuß­spitze so stoppen, dass der Ball wie ein vom plötz­li­chen Herz­in­farkt ereilter Spatz zu Boden falle.

Das Treten des Fuß­balls wie­derum, ganz anders als das Stoppen, ist eine archai­sche Bewe­gung und von Hause aus aggres­siver als das Werfen. Auch ist das Treten eines Balles gewagter als das Werfen, weil es einen Ver­lust an Sicher­heit in der Kör­per­hal­tung mit sich bringt. Als der Fuß­ball in Deutsch­land populär zu werden begann, benutzte der Turn­lehrer Karl Planck die oft kuriose Kör­per­hal­tung des tre­tenden Fuß­bal­lers, um vor diesem Sport, der eng­li­schen Krank­heit“, wie er sie nannte, zu warnen. In seiner 1898 erschie­nenen Schmäh­schrift Fuß­lüm­melei“ beschreibt Planck die Häss­lich­keit des Fuß­bal­lers beim Tritt gegen den Ball so: Das Ein­sinken des Stand­beins ins Knie, die Wöl­bung des Schnitz­bu­ckels, das tie­ri­sche Vor­stre­cken des Kinns ernied­rigt den Men­schen zum Affen“. Das war in abschre­ckender Absicht geschrieben. Karl Planck konnte noch nicht wissen, wie gern wir uns zum Affen machen lassen.

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