Im schwarzen Sarg der Schuhe
„An meinem rechten Fuß muss ich noch feilen.“
(Michael Tarnat, Linksverteidiger)
Der Fuß ist ein bedauernswertes Organ. Einen großen Teil seines Lebens verbringt er, wie Sylvia Plath schreibt. „im schwarzen Sarg der Schuhe“, wo er käsig aussieht und ranzig wird. Der Fuß ist ein niederes, unscheinbares Stück Körper, das sich lebenslang in Dreck und Staub herumtreiben muss. Allein im Fußballspiel kommt dem Fuß eine großartige kulturelle Gestaltungskraft zu. Im Jahr 2005 ist der Fußballfuß sogar zu einem von Brigitte Schmitges gestalteten Denkmal geworden. Vor dem Hamburger Stadion thront überlebensgroß der starke rechte Fuß von Uwe Seeler. In Bronze gegossen, dient er den Kleinen zu Kletterübungen, während die Großen auf dem Nagel des dicken Zehs gemütlich Platz nehmen können. Es ist nicht mehr als gerecht, dass gerade im proletarischen Fußballsport das unscheinbare, die ganze Last des Körpers tragende Organ auf den Sockel gehoben wird.
Bei jedem Sport geht es um körperliche Aktivitäten, die nach bestimmten Regeln ausgeübt werden, Regeln, die die Aktionen absichtlich erschweren. Die besondere Art der freiwilligen Selbsterschwerung, die sich der Mensch im Fußball auferlegt, unterscheidet dieses Spiel von allen anderen. Im Fußball wird das perfekte Spielgerät Ball mit einem ungeeigneten Organ zusammengebracht, dem Fuß. Hand und Arm sind weitgehend tabu. Füße aber, ganz anders als Hände, sind nicht dazu gemacht, elastische Kugeln zu beherrschen. Mit dem Fuß kann man keine Besitzansprüche stellen, mit der Hand sehr wohl. Das Fangen und Werfen des Handballs ist etwas ganz anderes als das Stoppen und Treten des Fußballs. Die Hand ist gegenüber dem Fuß das gebildetere, das geübtere Organ. Fangen ist leichter als Stoppen. Beim Fangen strebt der Ball „dem Becher hoher Hände zu“, wie Rilke dichtete; es ist immer ein Empfangen und bedeutet ein Höchstmaß an Kontrolle über das Spielgerät. Beim Stoppen des Fußballs hingegen kommt es immer zu einer Konfrontation. Der Spann des Fußes ist dem Ball entgegengesetzt gewölbt, konvex trifft auf konvex. „Füße sind fürs Fußballspielen absolut unsinnig konstruiert“, befindet der Schuhmachermeister Eckhard Hermstedt, Erfinder des „Predator“, eines diesen Nachteil ausgleichen wollenden Fußballschuhs. „Gehirnlappentechnisch“, lässt Thomas Brussig seinen Protagonisten im „Monolog eines Fußballtrainers“ sagen, „können die Augen mehr als die Beine und Füße zusammen. Lippen, Zunge, Finger, Hände, alle können mehr als die Füße – und wir spielen Fußball. Der Mensch ist nach fußballerischen Gesichtspunkten eine einzige Fehlkonstruktion, eine Missbildung.“
Wie ein vom plötzlichen Herzinfarkt ereilter Spatz
Um so größer die Kunstfertigkeit, die vom Kicker verlangt wird. Der Fußballer muss sich viel mehr als alle Sportler, die den Ball mit der Hand spielen in die Bewegung und Dingeigenschaften des Balls einfühlen: Er muss in seiner eigenen Bewegung die Bewegung des Balls gleichsam verlängern. Weil er den Ball nie ganz unter Kontrolle hat, schmiegt er sich der Bewegung und Flugbahn des Balls sozusagen an. Die Schönheit dieses Vorgangs lässt sich an Könnern wie Pelé oder Maradona bewundern. Von Maradona wurde geschrieben, er habe „Hände an den Füßen“, denn er könne einen scharf geschossenen Pass in zwei Metern Höhe mit der Fußspitze so stoppen, dass der Ball wie ein vom plötzlichen Herzinfarkt ereilter Spatz zu Boden falle.
Das Treten des Fußballs wiederum, ganz anders als das Stoppen, ist eine archaische Bewegung und von Hause aus aggressiver als das Werfen. Auch ist das Treten eines Balles gewagter als das Werfen, weil es einen Verlust an Sicherheit in der Körperhaltung mit sich bringt. Als der Fußball in Deutschland populär zu werden begann, benutzte der Turnlehrer Karl Planck die oft kuriose Körperhaltung des tretenden Fußballers, um vor diesem Sport, der „englischen Krankheit“, wie er sie nannte, zu warnen. In seiner 1898 erschienenen Schmähschrift „Fußlümmelei“ beschreibt Planck die Hässlichkeit des Fußballers beim Tritt gegen den Ball so: „Das Einsinken des Standbeins ins Knie, die Wölbung des Schnitzbuckels, das tierische Vorstrecken des Kinns erniedrigt den Menschen zum Affen“. Das war in abschreckender Absicht geschrieben. Karl Planck konnte noch nicht wissen, wie gern wir uns zum Affen machen lassen.
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